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AutorenbildTina Koch

Luxemburger Wort 11/12.07.2020



Die Corona-Krise hat es deutlich gemacht, es gibt Berufsgruppen ohne deren Einsatz ein Land nicht überleben kann.


„Systemrelevant“ nennt man sie heute, ein etwas abstruser Begriff, welcher beschreibt, dass ohne diese Berufe unser gesamtes (Gesellschafts-) System zusammenfallen würde.

Unter den systemrelevanten Berufen befinden sich auch wir Krankenpfleger*innen, mit oder ohne Spezialisation, Hilfs-Krankenpfleger*innen und noch viele andere, welche in den letzten Monaten dafür gesorgt haben, dass unser Gesundheits- und Pflegesystem diese Krise besteht. Noch nie hat man uns solche Anerkennung gegeben, doch alle positive Aufmerksamkeit allein reicht nicht aus, um auch in Zukunft auf weitere Pandemien vorbereitet zu sein.

Hierzu benötigt es diverse andere Aspekte.

1. Luxemburg muss wieder mehr selbst ausbilden

Der Bericht „Etat des lieux“ von Lair (2019) zeigt, dass Luxemburg knapp 35% seines Bedarfes an Krankenpfleger*innen ausbildet. Dabei hat Luxemburg bereits 2010 den „WHO Global CODE of Practice on the International Recruitment of Health Personnel“ unterzeichnet, in welchem folgender Forderung zugestimmt wird: “All Member States should strive to meet their health personnel needs with their own human resources for health, as far as possible.” Konkret hat die WHO empfohlen, dass Mitgliedsstaaten ihre Abhängigkeit von Pflegepersonal aus dem Ausland bis 2030 um 50 Prozent reduzieren sollen. Dies würde bedeuten, dass anstelle von 65% nur noch 32.5% des Krankenpflegepersonals aus dem Ausland rekrutiert werden sollten. Langfristig geht es hierbei darum, die Personalprobleme in Luxemburg nicht mehr auf dem Rücken anderer Länder auszutragen, die möglicherweise selbst mit einem Personalmangel in der Pflege zu kämpfen haben.


2018 haben 28 Krankenpflege-Student*innen ihr Abschlussdiplom erhalten, wobei es im letzten Jahrhundert noch über 140 waren!


Wäre es da nicht besser unser Land würde diese Ausbildung mal genauer unter die Lupe nehmen und sie an die europäische Bologna Norm anpassen?

2. Den Beruf attraktiver gestalten

Wir sind eines der wenigen Länder, die Pfleger*innen keinen Bachelor anbieten. Die Schüler*innen in Luxemburg sind dadurch klar benachteiligt.


Die harte Ausbildung macht sich nicht bezahlt. Die Student*innen werden lediglich mit einem BTS-Diplom „belohnt“ – und haben damit kaum Aufstiegschancen. Die Ausbildung in Luxemburg dauert zwar mit vier Jahren länger als ein klassischer Bachelor-Studiengang im Ausland – sie bietet aber unterm Strich weniger Möglichkeiten. Obwohl die zwei letzten Jahre unter dem „Student*innen“-Status erfolgen, werden die erworbenen Kredite an Studiengängen der Pflege im Ausland selten anerkannt. Die Inhalte müssen demnach „wiederholt“ werden. Eine große Hürde für Pflegende aus Luxemburg sich auf Hochschulebene weiterzuentwickeln. Die Posten, welche strategische Entscheidungen erlauben und demnach die Weiterentwicklung der Pflege garantieren, werden demnach oftmals von Personen übernommen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert haben.


Würde der Beruf der Pflege auf Hochschulniveau gelehrt werden, könnten die Schüler*innen in Ruhe ihr Abitur machen und die Studierenden könnten sich nach dem Abitur voll auf pflegerelevante Themen konzentrieren. Endlich wäre genug Zeit für ausführliche Praktika und weiterführendes theoretisches Wissen. Ebenfalls wäre hierdurch das Sprachproblem gelöst, welches seit Jahren dazu führt, dass Schüler*innen die ersten beiden Jahre nicht erfolgreich abschließen. Und wieso nicht sofort einige Unterrichtsstunden zusammen mit den angehenden Ärzt*innen auf der geplanten Medical School an der Uni Lëtzebuerg einplanen. Dies fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, stärkt die Bindung zwischen Pfleger*innen und Ärzt*innen und lockert das bestehende Hierarchie-Denken auf. Der Beruf der Pflege würde ein höheres Ansehen erhalten. Beide Berufsgruppen würden die Kompetenzen und Zuständigkeitsbereiche genau kennen und somit die Zusammenarbeit verbessert werden. Dies würde ebenfalls die Einführung der Pflegenden mit erweiterten Kompetenzen („Infirmier.ère de Pratique Avancée“) vereinfachen.


Ja, wir wollen endlich die Bachelor Ausbildung und ein universitäres Studium bekommen. Nein, hierbei geht es uns nicht ums Geld.


Wir möchten unseren Beruf so ausführen können, wie es unsere Pflicht ist, und nicht mit einem schlechten Gewissen nach Hause gehen!

3. Die Qualität der Pflege verbessern

Es geht uns darum die Qualität in der Pflege zu verbessern, sie stets weiterzuentwickeln und an den immer komplexeren Gesundheitszustand der Betroffenen anpassen zu können. Denn tatsächlich wird mit der Medizin auch die Pflege immer spezifischer. Wir möchten Karriere am Bett von den Patient*innen machen können, indem wir uns auf verschiedene pflegerische Aktivitäten spezialisieren können, so den Patient*innen die beste Pflege zukommen lassen können und das Team als Expert*in beraten können. Im Ausland haben Pflegende nach ihrem Bachelor die Möglichkeit, sich etwa im Bereich der Onkologie oder der Palliativmedizin in Masterstudiengängen weiterzubilden.


Oft gelten Pfleger*innen immer noch als jene, die das ausführen, was die Ärzt*innen ihnen vorschreiben. Es herrscht immer noch das Bild in den Köpfen, dass wir kaum eigenständige Entscheidungen treffen. Dabei sind es die Krankenpfleger*innen, welche die meiste Zeit mit den Patient*innen verbringen, sie beobachten und bei Komplikationen schnell alle notwendigen Maßnahmen einleiten müssen. Die pflegerischen Diagnosen, welche komplementär zur ärztlichen Diagnose gestellt werden, leiten die Arbeit der Pflege und tragen zu einer schnellen Heilung bei.


Während sich die medizinische Diagnose auf das Gesundheitsproblem selbst bezieht, verweist die Pflegediagnose auf Probleme, welche durch die Krankheit auftreten. Dieser Handlungsspielraum, das heißt die Anforderung für Probleme kreative Lösungen zu finden, macht den Beruf der Pflege erst interessant. Gleichzeitig erfordert er kritisches Denken und viel praktisches sowie theoretisches Wissen.


Diese eigenständige Arbeit der Krankenpflege entspricht in Luxemburg heutzutage bei weitem nicht mehr den Ansprüchen der Praxis. Die selbstständige Betreuung von Menschen mit einem Pflegeproblem ist in Luxemburg zurzeit unmöglich. Ist die Pflege doch für Maßnahmen, bei welchen sie über eine mindestens gleichwertige Kompetenz verfügt wie die Mediziner*innen, auf deren Verordnung angewiesen. Nicht selten muss die Pflege den Mediziner*innen sogar diktieren, welches Verbandsmaterial verordnet werden soll.


In anderen Ländern ist dies nicht der Fall. Dort können bspw. Pflegeexpert*innen mit einem Master in der Pflege von Menschen mit einer chronischen Herzinsuffizienz sogar Medikamente verschreiben oder die Trinkmenge selbstständig anpassen. Dies sind Aufgabenbereiche der Krankenpflege, welche in Zukunft noch wichtiger werden – vor allem deshalb, weil ein Mangel an Ärzt*innen im Land droht und die Kompetenzen schon allein deshalb vielleicht neu verteilt werden müssen.


Aber auch die Hilfskrankenpfleger*innen darf man in diesem System nicht vergessen. Seit Jahren übernehmen sie eine wichtige pflegerische Rolle im ganzen System. 2002 bekamen sie weitere Kompetenzen zugesprochen, aber genau wie bei den Krankenpfleger*innen hat dies an den Ausbildungsjahren nichts verändert. Das zusätzliche Ausbildungsprogramm wurde einfach in die schon vorhandenen Jahre gepresst.


Marie-Lise Lair spricht in ihrer Studie gar davon, dass Luxemburg eines von vier Ländern in Europa ist, das „die schwächste Ausbildung“ für Krankenpfleger*innen anbietet.

Ein anderes Problem, welches diese Studie aufweist, ist, dass bis 2034 40 Prozent aller Pflegekräfte in den Ruhestand gehen. Wir müssen verhindern, dass die Pflege hier zusammenbricht. Wir sollten nicht warten, bis das Problem da ist. Schon jetzt versuchen die Pflegenden, das fehlende Personal zu kompensieren, um alle Betroffenen versorgen zu können. Oft muss jemand seinen Urlaub abbrechen, weil eine andere Kraft krank geworden ist. Viele reden über den Ärzt*innenmangel. Doch wenn man weiß, dass es in Luxemburg derzeit 2.331 Ärzt*innen und 7.127 Pflegekräfte gibt, dann wird schnell klar, wie gravierend es ist, wenn 40 Prozent dieser Kräfte in Rente gehen.


Noch ist Zeit – und politischer Wille erkennbar. Die Einrichtung des Postens der „Chief Nursing Officer“ ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere müssen nun folgen. Ich bin mir sicher, dass wenn Luxemburg Lösungen in diesem Bereich so konsequent und koordiniert umsetzt, wie es die Pandemie bewältigt hat, können wir hier ein deutliches Zeichen für die Pflege setzen.


*Die Autorin ist Infirmière psychiatrique und Generalsekretärin der Association nationale des infirmières et infirmiers luxembourgeois (ANIL). Sie ist ebenfalls Präsdentin des LSAP-Nordbezirks.





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