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  • AutorenbildTina Koch

Luxemburger Wort 15/22.04.2023

Aktualisiert: 22. Aug. 2023


Altenpflege ist gesellschaftsrelevant

Altenpflege in einer Pflegeeinrichtung (Teil 1)


Medizinische Forschung und Betreuung, eine bewusste und gesunde Lebensführung sowie längere Teilhabe im Arbeitsprozess führen dazu, dass die Menschen immer älter werden, auch in Luxemburg. Demnach wird in einer Gesellschaft des „langen Lebens“ die Altenpflege immer wichtiger.


Tagtäglich stehen Pflegekräfte 1000 von pflegebedürftigen Menschen und ihren Familien engagiert zur Seite, um ihnen ihren “Alt-Tag” lebenswert zu machen. Wir müssen ihnen den Rücken stärken und Schluss machen mit den Vorurteilen und verzerrten Wahrnehmungen, die in der Politik und zivilen Gesellschaft noch oft mit dem Begriff “Altenpflege” verbunden sind. Zudem möchte ich erklären, wieso die Stimmen nach anderen Qualifikationen in der Altenpflege immer lauter werden.


Die durchschnittliche Lebenserwartung in Luxemburg beträgt bei der Geburt im Jahr 2022 geschätzt rund 82,6 Jahre. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in Luxemburg, die im Jahr 2022 geboren werden beträgt dabei geschätzt rund 84,8 Jahre und rund 80,4 Jahre bei den Männern. Bis zum Jahr 2050 soll die allgemeine Lebenserwartung in Luxemburg laut Prognosen auf rund 86,2 Jahre steigen[1].


Dabei wächst insbesondere der Anteil hochbetagter Menschen, d.h. auch ihre speziellen Gesundheits- bzw. Krankheitszustände, zu denen chronische Erkrankungen, sowie Pflegebedürftigkeit gehören. Diese fordern eine weitreichende Anpassung der Gesundheits- und Altersversorgung.


So auch bei Frau und Herrn Julio, 1932 und 1933 geboren. Herr Julio ist körperlich wie geistig noch aktiv. Frau Julio ist für ihr Alter noch körperlich fit, aber geistig baut sie immer mehr ab. Mehrere schwere Stürze von Frau Julio haben dazu geführt, dass beide seit einigen Jahren in einem Altenheim leben. Die Pflege zu Hause war für ihre Familie leider nicht mehr zu bewältigen. Schweren Herzens mussten Frau und Herrn Julio ihr Zu Hause verlassen und in ein Altenheim umziehen.


Herr Julio, fand sich nie wirklich zu Recht im Altenheim, mit seinem Blaumann und seinen Stiefeln ist er damals im Altenheim eingezogen, in der Hoffnung im Garten oder beim Kehren noch eine Hilfe zu sein, Singen und Basteln machte ihm weniger Freude. Leider ist er kurz vor der Pandemie an einer Lungenentzündung verstorben. Seitdem bewohnt Frau Julio das Zimmer alleine.


Seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes hat das “Vergessen” bei Frau Julio immer mehr zugenommen. Bei jedem Besuch fragt sich ihre Familie, ob sie sie noch erkennt. An manchen Tagen redet sie kein Wort, manchmal müssen sie ihre Mutter öfters ansprechen, sie aktivieren, ehe sie dann kurz aufblüht. Auch für ihre Familie ist es in solchen Momenten der Umgang mit Frau Julio eine große Herausforderung, auch sie brauchen in solchen Momenten Beratung und ein offenes Ohr vom Pflegepersonal.


Ebenfalls bei der Bewegung ist sie vermehrt auf Hilfe angewiesen. Neben den ständigen Schmerzen durch ihre Rheumaerkrankung droht sie durch ihren unsicheren Gang zudem zu stürzen.


Mit Zunahme der Anzahl der Krankheiten, wird die Zuordnung der Symptome und Befunde komplexer und schwieriger einzugliedern. Dies führt dazu, dass Menschen mit Pflegebedarf auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene besonders verletzlich werden. Um Menschen mit Mehrfacherkrankungen sicher versorgen zu können, müssen die in der Altenpflege tätigen Personen bei der Versorgung mit vorrausschauendem Blick auf die häufig unausgesprochenen Bedürfnisse der einzelnen Personen eingehen. Dies erfordert pflegerisches Fachwissen und kritisches Urteilsvermögen.


Beispiele wie das von Frau Julio, welche nicht ausschliesslich wegen dem erhöhten Sturzrisiko und ihrer Demenz in eine Einrichtung umziehen, gibt es Tausende in Luxemburg. Ungewollte Umzüge in betreute Strukturen können durch bessere Unterstützung zu Hause (mehr hierzu später) sowie durch den Ausbau einer altersspezifischen Prävention von Pflegebedürftigkeit und Gesundheitsförderung eine hohe Bedeutung zu.


Die moderne Altenpflege als ganzheitliches Konzept berücksichtigt sowohl medizinische Aspekte als auch psychologische und pflegerische Gesichtspunkte im Umgang mit den Pflegebedürftigen.


Integrative Validation, soziale Betreuung und Alltagsbegleitung gehören heute als feste Bestandteile zum Angebot jeder Pflegeeinrichtung. Hier ist es wichtig, dass die vorhandenen Möglichkeiten die Interessen der zu betreuenden Person treffen, und so zielgerichtet die Lebensqualität erhalten oder verbessern und dabei helfen die gemeinsam gesetzten Ziele zu erreichen. Es geht darum vor allem die motorischen und die kognitiven Fähigkeiten optimal zu fördern.


Genau hierfür ist eine sinnvolle und zielorientierte Betreuung wichtig. Die sogenannte Biographiearbeit, welche der Pflegekraft hilft die Ziele, Werte und Präferenzen der zu betreuenden Person herauszufinden.Und diese im Pflegealltag zu respektieren und die Lebensqualität und Selbständigkeit zu erhalten. Eine ausführliche Biographiearbeit hilft es den roten Faden bei der Beschäftigung zu finden, um abwechslungsreiche, effektvolle Aktivitäten zu entwickeln, mit Sinn.


Frau Julio mag es zu kochen, alleine fällt ihr das immer schwerer. Einfach Griffe werden zur größten Hürde, da sie diese einfach vergisst. Beim kochen in kleinen Gruppen kann sie aber weiterhin ihr Hobby leben, und behält auch so noch ein wenig den Bezug zum Alltag.

Auch regelmäßige Bewegung ist sehr wichtig für sie, damit ihre Selbstständigkeit weitgehend erhalten bleibt. Dazu gehören besonders die individuelle Ressourcenförderung und die Gesellschaftliche Integration. Aber auch angepasste Strukturen, in denen die Bewohner sich frei bewegen können ohne Gefahr zu laufen zu stürzen.


Mit zunehmenden Alter sind Notfallsituationen, verbunden mit Krankenhauseinweisungen, oft eine grosse Herausforderung für die Betroffenen. Bei älteren Menschen sind solche Situationen stets mit besonderen Risiken verbunden sind. Solche wie kognitive Verschlechterungen, mögliche Infektionen oder Stürze, aber auch Angst und Konfrontation mit einer neuen Umgebung mit fremden Personen.


Viele Klinikaufenthalte, wie Dehydratation, Harnwegsinfekte, Lungenentzündungen oder Diabetesentgleisungen, von Pflegeheimbewohnern könnten vermieden werden. Diese müssten grundsätzlich in der Pflegeeinrichtung behandelbar sein. Hierzu braucht es jedoch vermehrt qualifiziertes Personal mit direktem Kontakt zu den BewohnerInnen, welches das Hintergrundwissen und das Können besitzt, und die benötigte Kompetenz hat, um diese Komplikationen zu vermeiden oder wenigstens frühzeitig zu erkennen.


Zu diesem Ergebnis kommt das Innovationsfondsprojekt „Bedarfsgerechte Versorgung von Pflegeheimbewohnern durch Reduktion Pflegeheim-sensitiver Krankenhausfälle“. [2]

Es ist unsere gesellschaftliche Pflicht diese so gut es geht zu vermeiden und die Personen in ihrer gewohnten Umgebung zu betreuen.


Das Argument gut ausgebildetes Personal sei zu teuer ist kann hier nicht gelten gelassen werden, da die Vermeidung unnötiger Krankenhauseinweisungen gleichzeitig Geld einspart, denn Notfallbehandlungen im Krankenhaus können schnell teuer für unsere Gesundheitskasse werden. Durch ihre Fähigkeiten Verschlechterungen bei chronischen Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, eine vorausschauende Planung mit Bewohner/innen und Familien rund um das Lebensende zu unterstützen sowie die ersten diagnostischen Maßnahmen in Notfallsituationen könnten unnötige Belastungen der Hausärzte und Geriater vermieden werden.


Schlüsselelemente von diesen Modellen sind interprofessionelle Gesundheitsteams mit einer Mischung an Kompetenzen und Diplomen (Skill- und Grademix), der es erlaubt, die spezifischen Gesundheitsbedürfnisse von älteren Menschen zu decken, die Koordination von Übergängen bspw. zwischen Krankenhäusern und der Langzeitpflege zu garantieren, die klinische Expertise der Pflegenden am Bett sicher zu stellen und die Einführung innovativer Konzepte im Sinne der Betroffenen zu unterstützen.

Altenpflege zu Hause (Teil 2)


Es wünscht sich doch jeder gut gepflegt zu Hause leben zu können. Gehen mit dem Älterwerden altersbedingte Krankheiten und körperliche sowie geistige Einschränkungen einher, sind Betroffene zunehmend auf eine Betreuung und pflegerische Versorgung angewiesen. Es beginnt mit alltäglichen Aufgaben wie beispielsweise der eigenen Körperpflege oder dem Einkaufen von Lebensmitteln, die Senioren nicht mehr selbstständig bewältigen können. Falls Angehörige nicht genügend Zeit aufbringen können, um den Pflegebedürftigen optimal zuhause zu pflegen, gibt es andere Möglichkeiten.


Hier gibt es neben den ambulanten Pflegediensten auch Modelle, mit diplomierten Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen (advanced practice nurse).


Solche pflegegeleiteten Versorgungsmodelle wurden bereits in anderen Ländern in der Langzeitpflege mit Erfolg implementiert und führen zu besserer Pflegequalität (besseres Schmerzmanagement, weniger Dekubitus, Stürze, Hospitalisierungen, usw.), sowie besserer Bewohnergesundheit und -zufriedenheit.


Wie sieht die aktuelle Betreuungsmöglichkeit heute in Luxemburg aus?

Die Altenpflege stellt sich in Luxemburg in unterschiedlichen Organisationsformen dar:

- sie kann ambulant im Rahmen der Hauskrankenpflege erfolgen.

- Betreutes Wohnen

- über Tageszentrum

- im CIPA (Integrierte Seniorenzentren, frühere Altenheime)

- Im Pflegeheim

- Andere Wohnformen gibt es aktuell nur wenige


Die Wohnform wird im Alter sowohl durch objektive Merkmale wie die persönliche finanzielle Lage, die funktionale Gesundheit, Familienstand und bisherige Lebensgeschichte geprägt. Studien zeigen, dass - speziell für neue Generationen - nicht nur eine altersgerechte bzw. barrierefreie Wohngestaltung, sondern auch das Wohnumfeld und die soziale Einbettung zentrale Beurteilungskriterien sind[3].


Deshalb ist es wichtig vermehrt neue Wohnformen (Alterswohngemeinschaften, generationengemischtes Wohnen, betreutes Wohnen) zu schaffen. Damit hat sich die Vielfalt an Wohnoptionen im Alter erhöht.


Wenn es um die Aufrechterhaltung von Autonomie und Wohlbefinden geht, ist es wichtig, dass die Menschen so lange wie möglich in einer häufig über Jahrzehnte gewohnten Umgebung verbleiben können, im eigenen zuhause, das sich womöglich dann verändert, wenn mobile Pflegeleistungen erbracht, Barrieren beseitigt oder die "Dinge" der Pflege (z.B. ein Bett) Einzug halten und integriert werden müssen.


Hier stellen sich Fragen danach, wie Wohnungen, Häuser, Institutionen oder gar Gemeinden und Städte altersgerecht gestaltet werden können.


Hier könnte die Community Health Nurse (GemeindekrankenpflegerIn) helfen, welcher sich auf die Gesundheit der Bevölkerung fokussiert, indem Prävention und Gesundheitsförderung, sowie eine Erweiterung der pflegerischen Primärversorgung im Vordergrund stehen. Dabei wird der neutralen Gemeinde die Verantwortung zugetragen, für die Gesundheit ihrer Bürger, besonders deren, welche noch nicht unter die Pflegeversicherung fallen. Welche somit auch noch nicht über eine Rückerstattung der Pflegeversicherung verfügen und bereits einen Unterstützungsbedarf aufzeigen, mit zu sorgen. Die primäre Gesundheitsversorgung kommt hierdurch wieder näher an die Einwohner. Zudem erhalten diese einen festen Ansprechpartner, welcher sie bei gesundheitlichen Beschwerden untersucht, berät und begleitet und/oder falls hilfreich an den passenden Akteur im Gesundheitswesen weiterleitet.


Ihre proaktive, vorausschauende Arbeit könnte die Autonomie und Gesundheit der alternden Generationen erhalten und die pflegenden Angehörigen und Nachbarn bei der Aufgabe unterstützen. Gemeindekrankenpfleger sichern die Gesundheit auf kommunaler / regionaler Ebene und begleiten Menschen in ihrem gewohnten Lebensraum. Ihr Hauptziel ist es Krankheit oder Pflegebedürftigkeit zu reduzieren, und gerade bei chronischer Krankheit eine langfristige Begleitung zu garantieren.

Die Ziele der Gemeindekrankenpflege sind laut Aufgaben- und Rollenprofil in Österreich folgende Tätigkeiten:[4]

- die Lebensqualität, das Wohlbefinden, die Selbstständigkeit und die Autonomie zu fördern,

- den Verbleib im eigenen zuhause so lange wie möglich durch Stärkung der Selbsthilfe und

der Gesundheitskompetenz zu gewährleisten,

- eine kohärente und integrierte Pflegeversorgung nach individuellen Bedarfslagen zu ermöglichen,

- gesunde Lebensjahre, insbesondere im Alter, zu fördern,

- Problemlagen des Alters wie Einsamkeit und soziale Isolation zu reduzieren sowie

- lokale/regionale Netz(werk)e der Gesundheit(sförderung) und Pflege sichtbar zu machen und miteinander zu vernetzen.


So sollte es eine Zusammenarbeit zwischen den Medizinern und den Pflegeexperten geben, Hand in Hand mit dem sogenannten “aidant“. [5]


Auch der Hausnotruf müsste so gestaltet sein, dass jede ältere Person binnen weniger Minuten eine Ersthilfe erhält.


Die hierfür entstehenden Kosten dürfen aber nicht alleine von den pflegebedürftigen Menschen getragen werden. Wichtig ist es eine solidarische und nachhaltige Finanzierung zu schaffen, welche die ständig steigenden Eigenanteile begrenzt, und somit auch der Altersarmut vorbeugt.

Ein Land kennzeichnet sich damit aus, wie es mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgeht. Es gibt noch viel zu tun, packen wir es doch 2023 an und stärken zusammen die Lobby unserer älteren Menschen.


Professionelle Pflege ist nicht nur system-, sondern auch gesellschaftsrelevant!


Altenpflege in einer Pflegeeinrichtung (Teil 1) LW 15.04.2023


Altenpflege zu Hause (Teil 2) LW 22.04.2023


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